Jahrhunderthochwasser am Oderbruch

Vorinformation

Mitte des 18. Jahrhunderts ließ der König von Preußen, Friedrich der Große, die Oderregion innerhalb von sechs Jahren trocken legen, um das Gebiet wirtschaftlich urbar zu machen. Der bis dato in viele kleine Rinnsale verzweigte Fluss bekam ein 20,3 Kilometer langes Flussbett und wurde somit von Breslau (Wrozlaw) bis Stettin (Szczecin) schiffbar. Deiche sollten vor Überschwemmungen schützen. In der Region siedelte Friedrich Menschen aus ganz Europa an.

Zum 250. Geburtstag der Deiche, im Juli 1997, fielen überdurchschnittlich hohe Niederschläge in der Region. Drei Wochen lang kämpfte man in dem größten zivilen Katastropheneinsatz seit Kriegsende erfolgreich gegen einen verheerenden Bruch der Deiche.

Eine Chronik der Ereignisse verschafft Ihnen einen Überblick über die Katastrophe.

 

Kampf gegen die Flut

Bricht er oder bricht er nicht? Das war im Sommer 1997 an der Oder die alles entscheidende Frage. Noch nie nach der Einheit schauten so viele Menschen aus dem Westen voller Anteilnahme und guten Wünschen in den Osten. 

Tausende Menschen kämpften bis zur Erschöpfung gegen das Wasser, füllten und schleppten ungezählte Sandsäcke, evakuierten Dörfer, arbeiteten Tag und Nacht an sehr gefährlichen Deichabschnitten und waren letztendlich die glücklichen Sieger über die Naturkatastrophe. Ohne die Unterstützung der Deich-Experten, ohne die Männer der Feuerwehren, den Helfern des Technischen Hilfswerks, des Bundesgrenzschutzes und nicht zuletzt ohne die Menschen aus Dörfern wie Heinrichsdorf, Kerstenbruch, Neulewin oder Neulitzegöricke wäre der sommerliche Widerstand gegen die Wassermassen nicht möglich gewesen.

Wäre der Deich im Oderbruch nördlich von Frankfurt geborsten, hätten bis zu 19 000 Menschen evakuiert werden müssen. Nach drei harten Wochen stand damals fest, dass der Deich gehalten hat. In den dramatischsten Stunden in Hohenwutzen wurde die Chance mit minimalen ein Prozent angegeben. Als dann das Wunder wirklich geschehen war, sprachen die Brandenburger davon, der Oderbruch sei ungebrochen.

Heute erinnert in Odernähe in Neuranft das Denkmal "Flutzeichen" des Cottbuser Künstlers Matthias Körner an die größte Naturkatastrophe in der Geschichte Brandenburgs. Zwei schwere Bronzeblöcke, die aus dem Boden zu wachsen scheinen und sich ineinander schieben, sollen an die Gemeinsamkeit im Kampf gegen die Naturgewalten erinnern.

Nur wenige Minuten nach der Enthüllung donnerten damals zwei Hubschrauber der Bundeswehr mit schweren Sandsackladungen am Haken über das Areal. Ein vertrautes Bild aus diesem dramatischen Sommer 1997.

 

Chronik der Jahrhundertflut an der Oder

Die sogenannte Jahrhundertflut an der Oder hat Zehntausende Menschen mehr als drei Wochen in Atem gehalten. Im Gegensatz zu Polen und Tschechien verlief sie in Brandenburg glimpflich. Im folgenden der Ablauf der Geschehnisse an den Deichen insbesondere auf deutscher Seite:

17. Juli:

Die Flut rollt aus Polen heran. In Ratzdorf am Zusammenfluss von Oder und Neiße werden erstmals die Deiche mit Sandsäcken erhöht.

18. Juli:

Katastrophenalarm in Frankfurt/Oder. Aus dem tiefer gelegene Slubice auf polnischer Seite werden 17.000 Bewohner evakuiert.

19. Juli:

Im Osten Tschechiens wird der Jahrhunderthöchststand zum zweiten Mal binnen zehn Tagen übertroffen.

20. Juli:

Mehr als 20 Sickerstellen brechen sich an den deutschen Deichen auf.

21. Juli:

Erste Evakuierungen aus Frankfurt/Oder.

22. Juli:

Erste Evakuierung aus Aurith in der Ziltendorfer Niederung nach Deichrutsch. Erster Besuch von Bundeskanzler Helmut Kohl im Hochwassergebiet.

23. Juli:

Deichbruch zwischen Aurith und Brieskow-Finkenheerd. Evakuierung der Ziltendorfer Niederung.

24. Juli:

Zweiter Bruch am Ziltendorfer Deich. Im Norden des Oderbruchs entsteht eine zweite Verteidigungslinie entlang der Alten Oder.

25. Juli:

Bei Hohenwutzen im nördlichen Oderbruch rutschen 20 Meter Deich ab. Die Evakuierung von 5.000 Menschen aus 17 Orten wird angeordnet. Am Abend rutscht 1,5 Kilometer weiter südlich bei Neurüdnitz eine zweite Stelle ab. Die Oder reißt eine dritte Bresche in den Deich bei Aurith, der aufgegeben wird.

26. Juli:

Die Abrutschstelle bei Hohenwutzen sinkt erneut ab. Die in die Ziltendorfer Niederung eingedrungenen Wassermassen brechen sich über einen Hinterlanddeich einen Weg zur Oder zurück.

27. Juli:

Die Räumung aller verbliebenen 15.000 Einwohner des Oderbruchs wird vorsorglich vorbereitet.

28. Juli:

Neuer Deichriß bei Hohenwutzen, Der Pegel steigt mit einem Zentimeter pro Stunde immer weiter.

29. Juli:

Gefährliche Unterspülung bei Hohenwutzen. Bundeswehr und Helfer wenden unmittelbar drohenden Bruch doch noch ab. Kohl zum zweiten Besuch im Hochwassergebiet.

30. Juli:

Höchster Alarm: Deich von Hohenwutzen droht zu brechen. Bundeswehrsoldaten auf der Deichkrone rennen um ihr Leben. Pausenloser Hubschraubereinsatz. Die Chancen der Verteidiger sinken auf drei bis zehn Prozent. Ein weiterer Deichriß bei Ratzdorf und ein Deichrutsch im Vogelsänger Bogen kommen unter Kontrolle. Vorbeugendende Impfungen beginnen.

31. Juli:

Deich von Hohenwutzen reißt erneut. Dramatischer Kampf der Helfer gegen die Zeit. Immer neue Risse tauchen auf. Erstmals wird Drainagetechnik eingesetzt.

1. August:

Wieder Risse und eine Deichabsenkung bei Hohenwutzen, auch bei Reitwein wird die Lage kritisch. Entscheidung für eine zweite Barriere hinter dem Deich zwischen Reitwein und Lebus. Bundesweite Solidaritätswelle läuft an.

2. August:

Deich bei Lebus droht nachzugeben, Aufgabe wird zeitweise erwogen. Krisenstab: Deiche können gleichzeitig an mehreren Stellen brechen. Erstmals beginnt Pegel zu sinken.

3. August:

Leichte Entspannung. Aber Deich von Hohenwutzen reißt erneut auf.

4. August:

Oder-Staaten verständigen sich auf Aktionsplan für künftige Hochwasser. Bundeswehr beginnt Planung für Aufräumungsarbeiten.

5. August:

Sondersitzung des Bundestags: Regierungserklärung Kohls zu Hochwasser. Zunächst 500 Millionen Mark Nothilfe. Bundespräsident Roman Herzog im Hochwassergebiet. Erste Evakuierte kehren zurück.

6. August:

Südlich Frankfurt/Oder keine Hochwassergefahr mehr.

7. August:

Bis zu 3.000 Arbeitslose sollen an der Oder helfen. Evakuierungsverfügung für Ziltendorfer Niederung wird außer für drei Orte aufgehoben. Erster Deichrutsch auf der Wasserseite, nachdem Druck des Hochwassers zunehmend zurückgeht.

8. August:

Vielen der fast 8.000 Evakuierten wird Hoffnung gemacht, bis zum Wochenende in ihre Häuser zurückzukehren. Aber Wachsamkeit gilt weiter: Der Oderpegel sinkt langsamer, als erwartet.

 

Stichwort: Das Oderbruch

Das in weiten Teilen unter dem Wasserspiegel des Flusses liegende Oderbruch war einst ein Sumpfgebiet. Vor 250 Jahren wurde der etwa 15 Kilometer breite und 55 Kilometer lange Streifen, der von Lebus - zehn Kilometer nördlich von Frankfurt (Oder) - bis kurz vor nach Hohensaaten reicht, trockengelegt. Die verzweigten Arme der Oder wurden begradigt und das Flussbett an die östliche Grenze des Oderbruchs gelegt. Deiche sollten vor Überschwemmungen schützen.

Insgesamt umfasst das Oderbruch rund 640 Quadratkilometer. Zum Vergleich: Der Bodensee hat eine Fläche von 538,5 Quadratkilometern. In dem Gebiet leben rund 19.000 Menschen. Seit der Trockenlegung ist es eines der wichtigsten brandenburgischen Landwirtschaftsregionen. Zu DDR-Zeiten war das Oderbruch der "Gemüsegarten Berlins". In dem Gebiet gibt es heute rund 24.000 Rinder, 20.000 Schweine, 4.000 Schafe und tausende Stück Geflügel. Ihre Evakuierung hat bereits vor Tagen begonnen.

Das Oderbruch gilt als "Achillesferse" in der Oderregion. Beim bislang verheerendsten Hochwasser im März 1947 brachen die Deiche. Damals wurde sogar das mehrere Kilometer vom Fluss entfernte Bad Freienwalde vom Oder-Wasser erreicht.

Tiefer als die Oder

Da das Gebiet tiefer als die Oder liegt, kann es sich innerhalb weniger Stunden nach einem Deichbruch mit Wasser füllen. Den Bewohnern waren schon vor einigen Tagen vorsorglich Evakuierungspläne zugegangen. Die Behörden gehen davon aus, daß das Oderbruch im Notfall innerhalb von vier Stunden vollständig evakuiert werden kann.

  Fotos vom Einsatz

Alle beteiligten Helfer bekamen als Anerkennung einen Orden des Landes Brandenburg und eine Medaille der Freien und Hansestadt Hamburg

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